Über die Befähigung zum gerechten Handeln

und den Umgang mit Unrecht.

 

Ein Leitfaden der Anwaltskanzlei Happ.

 

1.      Das Entstehen und Beibehalten von großem (und kleinem) Unrecht ist vermeidbar.

 

Großes Unrecht (das also viele gleichzeitig betrifft) sind: Hunger; Krieg; Folter; Verfolgung und Vertreibung; Verschmutzung der Weltmeere; Beteiligung an der globalen Erwärmung; Ausbeutung von Menschen; von Tieren und Pflanzen; ungerechte Verteilung von Trinkwasser; mangelnde Bildungschancen, Diskriminierung; hartherziger Umgang mit Folgen von Unglück – Befürwortung der Todesstrafe, langjährige Haftstrafen ohne Resozialisierungsmöglichkeit, staatliche (nationale, lokale) Akzeptanz von nach internationalen Maßstäben kriminellen Verhaltensweisen wie Freiheitsberaubung; Genitalverstümmelung als angeblicher Ausdruck einer „Religion“; Organhandel; schwarze Pädagogik wie z.B. Prügel gegenüber Kindern; Einweisung von störenden Personen ohne Erkrankung in psychiatrische Anstalten; Bedrohung von Anwälten und anderen Organen der Rechtspflege.

 

Ungerechte Verteilung und Spekulation mit Grund und Boden, Geld, Produktionsmitteln, Lebensmitteln.

 

All dies geschieht nur durch „viele kleine falsche Entscheidungen“. Und ändert sich nur durch „viele kleine richtige Entscheidungen“.
Nicht „Hauptsache, mir geht’s gut.“ „Hauptsache, uns allen geht´s gut. Nur dann geht es auch mir gut.“

(Unterschätzen Sie sich nicht!)

 

2.      Unzureichende/kraftlose Gegenwehr kann schlimmer sein als Ertragen.

 

Also sollte man Kämpfe so führen, dass man sie auch gewinnt.
Und sich optimistisch der vielfältigen Möglichkeiten von Gegenwehr bewusst sein.
Sorgfältig prüfen: Bin ich wirklich „friedlich“ und „kompromissbereit“, oder ist das nur eine nette Bezeichnung für einen Mangel an Vertrauen in meine Fähigkeiten (die meines Anwalts, die der Justiz…), ein (allseits!, also objektiv) gerechtes Ergebnis zu erkämpfen? Ich stelle dazu klar: Es kann in Einzelfällen abhängig von der Person des Betroffenen durchaus sinnvoll sein, friedlicher - kompromissbereiter - zu sein.
Das ist Teil der anwaltlichen Beratungspflichten.

 

3.      Gutes tun zu wollen heißt, den Tätern Grenzen zu setzen.

 

Mit Täter meine ich jeweils denjenigen, der ungerecht handelt (z. B.  eine überhöhte Miete fordert, eine Forderung, die berechtigt ist, nicht bezahlt usw.)
Diese „Halt!“ hilft nicht nur den Opfern, sondern auch den Tätern, oft über das konkrete Geschehen hinaus, sich zu ändern. Die Durchsetzung des Rechts sollte trotz des allgemeinem Werteverfalls/Beliebigkeit nicht zu einem platten und kapitalistischen Interessenverfolgungsakt werden.
Das ist die Haltung der Täter, die ihren „Vorteil suchen“.

 

Das Suchen des eigenen Vorteils ist ein kümmerliches und unmoralisches Lebenskonzept.

 

4.      Die Schwierigkeit, zu erkennen, was gerecht (richtig) ist, ist (manchmal) groß.

 

Aber das entschuldigt es nicht, sich keine Mühe zu geben (Beliebigkeit der Auffassungen). Fast alles Unrecht geschieht, weil viele Einzelne sich der Notwendigkeit moralischer Kompetenz und der großen Bedeutung ihrer Alltagsentscheidungen nicht bewusst sind. (Fahre ich mit dem Auto oder dem Fahrrad? Kaufe ich bei dieser Firma – oder nicht? Lohnt es sich, Geld anzuhäufen oder gibt es Wichtigeres zu tun? Soll ich helfen? Ist das wahr?)
Emotionale Nichtbeteiligung = Gleichgültigkeit oder auch: „Ich kümmere mich nur um meine eigenen Angelegenheiten“ ist der Nährboden für eine ungerechte Gesellschaft  - und Ausdruck von Schwäche.
Dies gilt auch für moderne Formen von Beliebigkeit wie „Bloß nichts bewerten!“ D.h. der Ansicht, es gehe bei der Bewältigung von Unrecht darum, „Interessen auszugleichen“.
Die Vertreter dieser Auffassungen gleichen in Wirklichkeit nur Machtansprüche aus - und sorgen bewusst oder unbewusst für eine weitere Anhäufung von Geld und Macht bei den „Machthabern§“.

 

Das ist nicht „Mediation“, es ist „Kapitulation“.

 

Man beachte die Aggressivität, mit der einige der angeblich nicht bewertenden Menschen (oft auch noch Verfechter einer angeblich „wertschätzenden Kommunikation“) andere abwerten! Es wird schon kritisiert, wenn ein Mensch sich überlegt und  ausspricht, was richtig oder falsch sein könnte.
Der Widerspruch, dass es dann auch keine richtigen und falschen Kommunikationsformen geben kann, wird nicht gesehen.

  
In Wirklichkeit bewerten wir ständig, weil dies lebensnotwendig ist. Auch Tiere tun das, wenn sie sich entscheiden. Ohne Bewertungen (sei es bewusst, oder unbewusst) können wir uns nicht entscheiden und wären lebensunfähig.

 

Schmeckt mir heute zum Frühstück der Apfel? Oder sind es die Trauben? Soll ich meinem Nachbarn helfen, oder helfe ich ihm besser, wenn ich mich zurückhalte? Welche/r der 4 Leute an dieser Bushaltestelle wird mir sagen können, wo die ägyptische Botschaft ist?
Das üben schon kleine Kinder spielerisch (Apfel oder Birne?).

 

Auch in unseren Reaktionen auf Gefahren/rechtliche Konflikte sind zeitlich vorgelagerte Bewertungen enthalten, die bei depressiven Menschen anders ausfallen können als bei mutigen Menschen.

 

Wichtig ist für die dauerhafte Bewältigung von Unrecht, sich bei diesen Bewertungen, die wir m. E. ohnehin treffen, sich der ev. auch widersprüchlichen „Stimmen im Inneren“ bewusst zu werden. Also die Gefühle, die Gedanken, die bei der einen oder anderen Bewertung vor der Entscheidung entstehen.
Und natürlich diese Bewertungen immer vorsichtig, mit Mitgefühl für sich, und den anderen, in den Grenzen, die die Situation ermöglicht, treffen. Hilfreich für die richtige (stimmige) Bewertung sind Eigenschaften wie Mut (bewirkt u.a. Ehrlichkeit), Spiritualität - und die Bereitschaft zu erkennen, dass bei Bewertungen, wie sonst auch, Fehler gemacht werden könnten.
Trotz bzw. wegen dieser Schwierigkeit gibt Ihnen der gute Anwalt objektiv richtige und also verlässliche Antworten auf Fragen zur Rechtslage/ dem richtigen Vorgehen. Das ist gemeint mit dem Satz in der Bundesrechtsanwaltsordnung:
Der Rechtsanwalt ist ein Organ der Rechtspflege. Sein Beruf ist kein Gewerbe.
(Moral vor Umsatz.)
Das Gerechtigkeitsgefühl ist der Weg zu dem Ziel, richtige Bewertungen zu treffen. Zorn (Ärger) die Emotion, wenn andere (oder wir selbst) den Weg verlassen haben. Dieser innere Unwille gibt die Kraft, Änderungen vorzunehmen, Grenzen zu ziehen, auch, den Anwalt einzuschalten …und bedeutet nicht, dass man stattdessen aufstampfen sollte, sich ans Hirn tippt oder Ähnliches.

 

5.      Keine Gerechtigkeit ohne Wahrhaftigkeit

 

Der Kampf für Gerechtigkeit setzt unabdingbar voraus die eigene Wahrhaftigkeit. Also eine Ehrlichkeit, die über bloßes „nicht Lügen“ deutlich hinausgeht. Keine Tricks, kein Suchen des Vorteils. Keine „Darstellungen“. Keine unangemessenen Kompromisse, auch hier kein (flaches) Gerede von „Interessen, die ausgeglichen werden müssten“. Und schon gar nicht Relativität nach dem Motto: „Was ist überhaupt wahr?“
 

Umsicht ist also geboten mit der einigungsorientierten Deutschen Justiz. Die der „Wahrheitsfeststellung durch Zeugenvernehmung, Sachverständige“ z. T. wenig begeistert gegenübersteht, Stichwort „Erledigungsdruck“.

 

Gute Richter wollen wissen, worüber sie urteilen sollen. Also nehmen sie es nicht (oder zumindest nicht gerne) hin, dass der Sachverhalt nicht geklärt ist (oder sie, noch schlimmer, angelogen werden). Und schlagen Kompromisse nur vor, wenn sie überzeugt sind, ein Kompromiss ist besser als eine Entscheidung. Das kann manchmal der Fall sein.

 

Oft ist eine letztlich kollektive Antwort „Im Namen des Volkes!“ notwendig.

 

Auch ein guter Anwalt wird nur auf der Basis von Tatsachen arbeiten.
Bei der Reform des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes wurde die Beweisgebühr – der finanzielle Ausgleich des Anwalts für die Aufklärung des Sachverhalts, also Ortstermine mit Sachverständigen oder Zeugenvernehmungen – (weitgehend) abgeschafft und die Gebühr für außergerichtliche Vergleiche deutlich erhöht. Dies führt dazu, dass bei Durchschnittsfällen der Anwalt oft in rote Zahlen gerät, wenn er auf einer Klärung des Sachverhalts besteht. Dies ist ein erheblicher, rechtspolitischer Missstand. Trotzdem wird ein guter Anwalt den geraden Weg gehen: Keinen Kompromiss vorschlagen, wo ein Urteil zum vollen Erfolg führt, nur, damit der eigene Gewinn höher ist (Vergleichsgebühr).
Ein guter Anwalt sagt es dem Mandanten, wenn der Mandant im Unrecht ist.
Der gute Anwalt zögert auch nicht zu sagen, wenn er selbst im Unrecht ist.

 

6.      Gerecht zu sein ist eine Fähigkeit, deren Kern ein Gefühl ist.

 

Gerecht sein heißt nicht nur, „Rechtsvorschriften einhalten“. Sind diese im Widerspruch zu höherrangigen Pflichten, ist es rechtlich geboten, sich darüber hinwegzusetzen (z. B.  Tür einschlagen, um einem Nachbarn zu helfen) oder diese anzugreifen (z. B. Verfassungsbeschwerde).
Gesetze sind Versuche, das Gerechtigkeitsgefühl zu schriftlichen Regeln zu verdichten wie z.B.: „Verträge sind einzuhalten“ oder „Behindertenparkplatz, Halteverbot“.
Vorrangig ist das Gefühl. Wer einen Vertrag unterschreibt, weil er bedroht wurde, muss ihn nicht einhalten (§ 123 BGB), sondern kann ihn anfechten. Stünde das nicht in § 123 BGB, müsste durch rechtswissenschaftliches Handwerk (Gesetzesauslegung, Aufzeigen von Präzedenzfällen usw.) usw. das „gefühlt richtige“ Ergebnis gefunden - und durchgesetzt werden.

 

7.      Geforderte emotionale Kompetenz: Mitgefühl – und Zorn

 

Gerechtigkeit ist im „Energiestrom der Zorns“ (Sriram), also dem zunächst instinktiven Gefühl, das etwas den rechten Platz verloren hat. Dieses Gefühl gibt den Mut zum entschlossenen (aber ruhigem! kraftvollem!) Handeln, d.h. notwendige Änderungen mutig in Angriff zu nehmen. Gerecht zu sein setzt Mitgefühl voraus, d.h. die Fähigkeit, seine eigene Haltung zu finden und zu prüfen durch das behutsame Sich-hinein-Fühlen in sich und in andere (also den Gegner, den Richter, den eigenen Anwalt), und stets offen zu sein für eine Änderung von „Urteilen, Bewertungen, Ansichten“. Vgl. Ziffer 4.

 

8.      Unrecht steckt an.

 

Das ist ein sehr wichtiger Punkt.

 

9.      Unrecht ist immer auf der Täterseite, manchmal auch auf der Opferseite eine Folge von (unangemessener, krankhafter) Angst.

 

Die wichtigsten Ursachen auf der Täterseite (worunter hier, s.o., auch z. B. Kunden zu verstehen sind, die einem Handwerker den Lohn streitig machen durch unberechtigte Mängelrügen usw.) sind Aggression, Habgier, Geiz, Eifersucht und Neid, mangelndes Mitgefühl, alles Folgen (aber auch Ursachen!) von unangemessener/übertriebener Angst.
Aber auch die seelische Disposition bei den Opfern ist oft Angst, z. B. in Form von Geiz („ich kann oder will es mir nicht leisten, mich zu wehren“), mangelnde Selbstachtung, und damit Selbstbehauptung; streitbarer/ungerechter „Umgang“ mit dem eigenen Anwalt (Anfragen nicht oder nicht zeitnah beantworten, schlechte - oder unklare - Kommunikation, Rechnungen nicht oder nicht pünktlich zahlen, Unterlagen nicht oder nicht rechtzeitig vorlegen, verächtliches Gerede über Gerichte/Richter/Rechtsanwälte, über Regeln und Rechtsvorschriften usw.).
Täter – Typen streiten sich hingegen selten mit ihrem Anwalt.
Opfer, also die Menschen, die verletzt wurden, sind nicht „selbst schuld“. Aber: Einige Opfer (nicht nur die „Täter“) sind typischer Weise, z. B. oft in den sogenannten Gewaltschutzfällen auch anfällig für eine gewisse Rechtsverachtung, hinterziehen also gemeinsam mit den Tätern Steuern, und erstatten keine Strafanzeigen. Sie kritisieren nicht wirklich die (un)moralische Haltung der Täter, sondern den Umstand, dass „sie die Verlierer“ sind.
Einige Tätergruppen betreiben keine gezielte Opferselektion oder über zufällige Kriterien wie „die Ausländer“.

 

10.    Der eigene Anteil

 

Es lohnt sich immer, über einen möglichen eigenen Anteil an einem Konflikt/Unrecht kritisch nachzudenken. Bei sich kann man alles am Leichtesten ändern.

 

11.    Sich helfen lassen/sich beraten lassen

 

…ist im Umgang mit Unrecht entscheidend. Nur in Kinofilmen sind die Helden Alleingänger! Und es ist wichtig, auch den Standpunkt des Gegners zu überdenken.

 

12.    Vertrauen zu Gott und in eine höhere Gerechtigkeit

 

Das ist das Wichtigste. Gott meine ich „religionsneutral“, unabhängig von Ihrer jeweiligen Vorstellung. Dazu einige Zitate:

 

„Gott gebe mir den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann; die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann; und die Weisheit, das eine von dem anderen zu unterscheiden“  (Niebuhr)

 

„Auch wenn alle einer Meinung sind, können alle Unrecht haben“ (B. Russell)

 

„Oft tut auch der Unrecht, der nichts tut. Wer das Unrecht nicht verbietet, wenn er kann, der befiehlt es.“ (Marcus Aurelius)

 

„Wenn Du im Recht bist, kannst Du Dir leisten, die Ruhe zu bewahren; und wenn du im Unrecht bist, kannst Du Dir nicht leisten, sie zu verlieren.“ (Mahatma Gandhi).

 

(Katharina Happ)